Wichtige Werke der Science Fiction zu Bürgerrechten, Überwachung und PrivatsphäreÖsterreich hat eine lange Tradition des Überwachungsstaates, erwähnt seien die Stichworte Metternich und Biedermeier. In der Literatur ist es seit langer Zeit gang und gebe, sich mit alternativen oder zukünftigen Gesellschaftsmodellen auseinanderzusetzen und diese in Erzählungen zu beschreiben. Ein Teil dieser Erzählungen beschäftigt sich mit negativen Alternativen, die zu totalitären Systemen führen. Die folgende Liste enthält in subjektiver Auswahl wichtige Werke aus diesem Themenfeld, einerseits Klassiker, andererseits aktuelle Werke aus den letzten Jahren. George Orwell: 1984 (GB, 1948) Dieses Buch enthält das wohl bekannteste Beispiel eines totalitären Überwachungsstaates. Die Bürger werden einerseits mit technischen Mitteln überwacht, andererseits existiert ein ausgeprägtes Spitzelwesen. Besonders zu verfolgen sind sogenannte Gedankenverbrechen - wenn also jemand an der Doktrin oder den Lehren des Staates zweifelt. Der Staat versucht auch, durch Einführung einer neuen Sprache, Gedankenverbrechen überhaupt unmöglich zu machen. Jewgenij Samjatin: Wir (My, Sowjetunion, 1920) Die Häuser haben Wände aus Glas, die Menschen sind Nummern (z.B. D-503), alles ist reglementiert - es zählt nur das Kollektiv. Hauptbedrohung des Staates sind Individualität und Phantasie. Eine neue Operation kann die Menschen von ihrer Phantasie heilen... Juli Zeh: Corpus Delicti (Deutschland, 2009) Es herrscht eine Gesundheitsdiktatur, alle müssen ihren Körper in optimalem Zustand halten, durch Sport, die richtige Ernährung etc. - das wird genau kontrolliert, und wer dagegen verstößt, wird bestraft. Ilija Trojanow & Juli Zeh : Angriff auf die Freiheit (Deutschland, 2009) Der Staat dringt immer weiter in die Privatsphäre seiner Bürger ein, als Argument dafür muß die Abwehr von Terror dienen - doch die erzielten Ergebnisse sind dürftig. Philip K. Dick : Eine andere Welt (Flow My Tears, the Policeman Said, USA, 1974) Die USA sind ein Polizeistaat, der alles über seine Bürger weiß - und plötzlich taucht ein Mann auf, über den es keine Akten gibt. Weitere Schwerpunktthemen des Buch sind Genmanipulation und Drogenge- und -mißbrauch. Jack Williamson: Wing 4 (The Humanoids, USA, 1949) Roboter tauchen auf, deren oberstes Ziel es ist, den Menschen zu dienen, zu gehorchen und vor allem Schaden zu bewahren. Der dritte Punkt hat zur Konsequenz, daß die Menschen keinerlei Risiko eingehen dürfen - und selbst der Schritt vor die Haustür birgt schon das Risiko, von einem Dachziegel oder Kometen getroffen zu werden. Wer trotzdem Risiken eingeht, bekommt eine Gehirnoperation und ist danach nur mehr glücklich über die Fürsorge der Roboter. Ray Bradbury: Fahrenheit 451 (USA, 1953) Die größte Bedrohung der Menschheit ist die Phantasie - also muß diese ausgerottet werden, und alles was die Phantasie anregt, ist zu vernichten. Da steht natürlich Belletristik ganz weit oben auf der Bedrohungsskala, und folgerichtig ist die Hauptaufgabe der Feuerwehr, Bücher zu verbrennen. Die Hauptperson, ein Feuerwehrmann, widmet sich dieser Aufgabe voller Überzeugung und Hingabe - bis er ein Buch zu lesen beginnt... D.F. Jones: Colossus (Colossus, GB, 1966) Kalter Krieg: Die USA bauen einen Computer zur Steuerung ihrer Atomraketen, die Russen ebenso. Die beiden Computer schließen sich zusammen und übernehmen, basierend auf ihrer Kontrolle der Atomraketen, die Macht. George Orwell: Farm der Tiere (Animal Farm, GB, 1945) In dieser Fabel übernehmen die Tiere die Herrschaft auf einer Farm und vertreiben den unfähigen Bauern. In der Folge wird aus der Basisdemokratie die totalitäre Herrschaft einer Gruppe, der Schweine. Im Prinzip wird die Geschichte Rußlands rund um die Oktoberrevolution geschildert, verfremdet als Tierfabel. Andreas Eschbach: Ein König für Deutschland (Deutschland, 2009) Stalin wird das folgende Zitat zugeschrieben: "Es ist nicht wichtig, wie das Volk wählt, wichtig ist, wer die Stimmen zählt." Wahlmaschinen mit elektronischer Zählung eröffnen gegenüber der normalen Auszählung zusätzliche Gefahrenpotentiale für Manipulation. In diesem Roman wird urchexerziert, was passiert, wenn in Deutschland Wahlmaschinen zum Einsatz kommen, und die Wahl-Software manipuliert wurde: Plötzlich stellt eine monarchistische Partei den Bundeskanzler, und im Land geht es rund. Nolan/Johnson: Flucht ins 23. Jhdt. (Logan's Run, USA, 1967) 2116 ist das Höchstalter gesetzlich vorgeschrieben: 21 Jahre (im Film: 30). An diesem Geburtstag lassen sich die Leute freiwillig einschläfern - mit wenigen Ausnahmen. Diese versuchen aus dem System auszubrechen und einen legendären Ort, die Zuflucht, zu erreichen. Aldous Huxley: Schöne neue Welt (Brave New World, GB, 1932) Eigentlich ist das der viel zeitgemäßere Roman als etwa 1984, denn in punkto staatlicher Überwachung hätte sich Orwell nicht träumen lassen, was heute alles möglich ist. Die Zukunftsvision von Huxley über eine genmanipulierte Klassengesellschaft mit Drogen, um die Menschen ruhig zu stellen - die ist aktueller denn je. Cory Doctorow: Little Brother (Little Brother, USA, 2008) Marcus ist 17 und lebt in einer nahen Zukunft. Natürlich wird er ständig überwacht, und ebenso natürlich finden er und seine Freunde Wege, diese Überwachung auszutricksen. Doch als ein Anschlag in San Francisco stattfindet, sind er und seine Freunde zur falschen Zeit am falschen Ort, und werden - wie viele andere - von der Homeland Security festgenommen. Dann auf seinen Bürgerrechten zu bestehen, bekommt ihm schlecht. Nachdem er doch wieder freigelassen wird, beschließt er, sich zu wehren. Stefan Blankertz: 2068 (Deutschland, 2007) Ein Krimi aus dem Köln des Jahres 2068: Die Welt hat sich stark verändert, China ist die Führungsmacht. Gesundheit ist das wichtigste Gut, alte Menschen sind nicht wichtig - bis hin zur Euthanasie. Da proben einige Alte den Aufstand. Konrad Loele: Züllinger und seine Zucht (Deutschland, 1920) Züllinger lebt in einem totalitären Staat der Zukunft. Ihm gelingt es, ein Verfahren zur Produktion von künstlichem Fleisch zu entwickeln, und letzten Endes zur Produktion von Menschen. Diese künstlich produzierten Menschen werden mit einer Verblödungsspritze behandelt und zwangssterilisiert, um als Arbeitssklaven zu dienen. Karen Boye: Kallocain (Schweden, 1940) Ein Weltstaat der Zukunft befindet sich im Krieg mit einem anderen Staat, dem Universalstaat. Der Staat ist totalitär, alles wird überwacht, bis hin zu Polizeiohr und Polizeiauge in den Wohnungen. Kall, die Hauptperson, erfindet eine Wahrheitsdroge. Der Staat möchte diese dazu verwenden, um Staatsfeinde zu entdecken, doch bei Anwendung der Droge offenbart jeder Gedanken, die ihn zum Staatsfeind machen. Thomas Sautner: Fremdes Land (Österreich, 2010) Ein Staat in naher Zukunft umsorgt und behütet seine Bürger, bis hin zur Einpflanzung eines Chips zur besseren Kontrolle. Marc Elsberg: ZERO - Sie wissen, was du tust (Deutschland, 2014) Eine neue Internetplattform analysiert persönliche und persönlichste Daten, und verspricht, mit den Ergebnissen der Analysen dem Menschen ein besseres Leben zu verschaffen. Tom Hillenbrand: Drohnenland (Deutschland, 2014)
Alles wird überwacht und aufgezeichnet. Wenn dann ein Verbrechen passiert,
ist es ja ein leichtes, mit Hilfe der aufgezeichneten Daten das Verbrechen
aufzuklären. Wenn aber die Daten manipuliert wurden... Andreas Eschbach: Black Out / Hide Out / Time Out (Deutschland, 2013/14) Ist im Zeitalter der digitalen Vernetzung eine Flucht bzw. ein Ausstieg aus dieser Vernetzung möglich? Robert M. Sonntag, Die Scanner (Deutschland, 2013) Alles ist digital, alles wird überwacht. Bücher werden eingescannt, damit dann die Inhalte digital allen zur Verfügung stehen, und anschließend vernichtet. Tobias Radloff: Schwarzspeicher ((Deutschland, 2012) Am Ende jeglicher Privatsphäre stellen Menschen ihr Leben als Livestream ins Netz. Wenn aber jemand in die Maschen der Überwachungsmaschinerie gerät, ist eine Flucht in einer Umgebung, in der jede Bewegung aufgezeichnet und überprüft wird, nicht gerade einfach. Nicht zuletzt sei auch auf das Buch hingewiesen, das ich für den Verein
quintessenz herausgegeben habe:
Am Ende der Leitung (Österreich, 2009): Bibliographie deutschsprachiger SF created: 12.06.2015 updated: 12.06.2015 Christian Pree, Wien |